2. Platz    Tobias Rosenberger

Die Wette

Der Teufel kauerte hinter dem Altglascontainer und wartete, bis die Kellnerin ihre Rauchpause beendet hatte. Sobald sie wieder in der Bar verschwunden war, begann er den Container zu durchwühlen. Er hatte Glück. Eine Flasche enthielt noch etwas Bier.
«Bruder?» Fragte eine Stimme hinter ihm.
Er zuckte zusammen. Oh nein, es ist Jesus. Langsam wandte er sich um. Da stand er, der Gottessohn, eingehüllt in ein weisses Leinengewand, die Dornenkrone auf dem Kopf. Aus den Wundmalen seiner Hände tropfte Blut auf den Asphalt. «Kippst du eigentlich nie um von all dem Blutverlust?» Fragte der Teufel zur Begrüssung.
Jesus lächelte gütig. «Es ist bloss eine Metapher.» Dann rieb er sich die Arme, als sei ihm kalt. «Wollen wir nicht rein gehen?»
Der Teufel zögerte. Er war pleite.
«Ich lade dich selbstverständlich ein», sagte Jesus, als hätte er seine Gedanken erraten. 
Die Bar war gut besucht. Die Menschen rotteten sich in dem schmalen Raum zusammen. Es roch nach Deodorants, die sich alle Mühe gaben, die nervösen Ausdünstungen zu überdecken. Alle waren durch das Bedürfnis nach Nähe getrieben. Der Abend konnte nur auf zwei Arten enden, auf dem Boden eines Glases oder in einem fremden Bett.
«Und läuft es bei dir, Morgenstern?» Fragte Jesus und nippte an seinem Drink.
Der Teufel lachte bellend. So hatte ihn schon lange niemand mehr genannt. Er nahm einen tiefen Schluck. «Scheisse.»
Sie schwiegen eine Weile.
«Wie wäre es mit einer Wette?» Fragte Jesus unvermittelt.
Der Teufe sah überrascht auf. Wetten waren Gott Seniors Ding und er schummelte dabei. Sein Sohn war grundehrlich und keine Spielernatur. «Worum soll es bei der Wette gehen?» Fragte er vorsichtig.
«Wir treffen uns in einem halben Jahr wieder hier. Derjenige von uns, der in dieser Zeit mehr Seelen für seine Sache gewinnen konnte, gewinnt die Wette.»
Der Teufel überlegte einen Augenblick. «Einverstanden. Und der Einsatz?»
«Wenn ich gewinne…», sagte Jesus und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas. Er begann zu husten. Seine Augen tränten. «Wenn ich gewinne, kommst du mit mir ins Yoga.»
Der Teufel zog amüsiert eine Augenbraue hoch, erwiderte aber nichts. Dann sagte er: «Wenn ich gewinne, bringst du den Papst dazu, sein Coming-out zu verkünden.»
«In Ordnung», lächelte Jesus und streckte seine Hand aus. Der Teufel schlug ein. «Topp!» 

Nach einem halben Jahr fand sich der Teufel wieder in der Bar ein. Er bestellte sich ein Glas Barolo und gab entgegen seiner Art ein Trinkgeld. Jesus traf verspätet ein. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, die nervös zuckten. «Doppelter Rum», sagte er zur Kellnerin.
Der Teufel grinste. «Aha, es wird wohl ein Kirchenskandal geben.» Er klopfte auf den dicken Umschlag, der vor ihm auf dem Tisch lag. Dieser enthielt eine Liste der Seelen, welche er in dem halben Jahr korrumpiert hatte.
Jesus sagte nichts, bis er seinen Rum erhalten hatte. Er trank auf ex und bestellte einen weiteren. Die Kellnerin nickte und stöckelte davon.
«Also», begann der Teufel zu erzählen, «ich war erst in einem noblen Service Club.» Jesus stöhnte. «So viel Hochmut und Neid», sagte der Teufel. «Ich hatte leichtes Spiel.»
«Wo bleibt mein Rum», rief Jesus nach der Kellnerin.
«Dann ging ich in ein Studentenheim», fuhr der Teufel fort. «Prokrastinieren nennt man Faulheit heute.» Er zeigte Jesus ein betrunkenes Selfie auf seinem iPhone. «Wir hatten jeden Abend eine Sause.» Jesus konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. «Zum Schluss habe ich die Völlerei gefördert. Hochprozessierte Lebensmittel», sagte er stolz. «Gibts auch vegan.»
Jesus gratulierte ihm halbherzig. Er wirkte traurig. «Mir erging es nicht so gut. Ich wollte erst die Frömmigkeit der Menschen stärken. Nächstenliebe, Trost in der Barmherzigkeit, eine positive Sicht auf das Leben, aber heute scheinen die Menschen entweder säkular oder verbohrte Fundamentalisten zu sein. Hast du dir mal einen evangelikalen Podcast angehört? Selbstherrliche Arschlöcher!» Jesus hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. Beide schauten zur Decke. Als kein Bannstrahl kam, fuhr Jesus etwas leiser fort: «Frömmigkeit scheint mir keine Tugend mehr zu sein. Vieles, das mal als tugendhaft galt, ist es heute nicht mehr.»
«Und umgekehrt mit den Todsünden», sagte der Teufel. «Ist vielleicht auch gut so. Hast du überhaupt Seelen gefangen?»
«Gerettet», korrigierte ihn Jesus. «Ich ging zum Marktplatz, den sie Börse nennen und predigte Mässigkeit und Nächstenliebe.» Er seufzte bitter. «Rausgeworfen haben sie mich und einen Kommunisten genannt. Haben gesagt, ich soll meinen Unsinn im Internet erzählen. Das habe ich dann getan.» Jesus öffnete eine App auf seinem Fairphone. Doch bevor das Filmchen startete, flötete eine Frau, wie eine neue Gesichtscrème ihr Leben verändert habe.
«Unterbrecherwerbung», sagte der Teufel stolz. «Meine Erfindung.» Dann startete das Video. Ein ernster, aber freundlicher Jesus schaute in die Kamera. Er predigte von Liebe, Barmherzigkeit und guten Taten. Selbst der Teufel kriegte etwas feuchte Augen, doch nicht viele Leute schienen das Video angeklickt zu haben. Immerhin hatten alle ein Like hinterlassen.
Jesus spielte fahrig mit seinem leeren Schnapsglas und sah sich nochmals nach der Kellnerin um. Diese verteilte gerade Kerzen auf den Tischchen. «Ich werde dem Papst wohl im Traum erscheinen…»
Die Kellnerin kreischte überrascht, als sie über das Bein des Teufels stolperte. Sie stürzte und eine der Kerzen fiel auf den Umschlag auf dem Tisch. Es gab eine Stichflamme und hunderte Seelen rauschten in einem heulenden Tornado zurück zu ihren Besitzern. Es roch nach Schwefel. Der Teufel begann zu fluchen und scheuchte die weinende Kellnerin davon.
Jesus warf dem Teufel einen überraschten Blick zu. Dieser nahm einen Schluck von seinem Barolo. «Ein guter Jahrgang», sagte er zufrieden. «An welchem Tag gehen wir ins Yoga?»